Majestät im Schwanenpelz
Marlene Dietrichs triumphaler Auftritt in Berlin

Von Sabina Lietzmann

Marlene Dietrich, trat auf die Bühne des Berliner Titania-Palastes, und die Throne und Goldenen Schallplatten unserer Schlagerfürsten und -fürstinnen zerkrachten hörbar. Die deutsche Unterhaltungsindustrie der letzten anderthalb Jahrzehnte verhüllte ihr Haupt, packte die Fiedeln ein und verschwand von der Szene. Eine blonde Venus im Rheinkieselgeglitzer, umschäumt von den weißen Wogen ihres Schwanenfederpelzes, schritt die Dietrich langsam und aufrecht an die Rampe. Die 1800 Menschen im Saal empfingen die heimgekehrte Königin des Chansons mit überwältigendem Jubel; Marlene, nun sichtlich bewegt, verneigte sich, ihre Schleppe fegte über das Kabel, das Mikrofon sank ihr in die Arme, und sie rettete sich und das Publikum vor dem Ansturm der Wiedersehensfreude in den raukehligen Melodienbogen ihres berühmtesten Liedes „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“.

In all den Jahren, in denen sie nicht in Deutschland war, ist uns Marlene Dietrich durch ihre Platten und Filme stets gegenwärtig gewesen. Die Begegnung mit ihr indessen zeigt, wie wenig Film und Platten, selbst die berühmte Aufnahme ihres Auftritts im Londoner Cafe de Paris, tatsächlich von ihr wiedergeben. Man muss sie sehen, wie sie mit Händen, Hüften, Füßen singt, ihr Augenzwinkern, die kessen Grimassen, die sie für die „Boys in the backroom“ aufsetzt, die pathetischen Gesten der großen Diseuse, mit denen sie „La yie en rose“ untermalt, oder wie sie reglos, eine schlanke, grazile Säule, die sentimentale Großstadtlyrik der zwanziger Jahre vorträgt. Die linke Hand auf die glitzernde Hüfte gestützt, mit der rechten den Saum des Mantels streichend, wandert sie um das Mikrofon, sich selbst leicht autobiographisch conferierend. Gleich nach dem „Blauen Engel“, erzählt sie, habe Hollywood gerufen, aber Hollywood habe sie „überhaupt nicht interessiert“. Sie habe in Berlin bleiben wollen. Doch die Ufa, die auf sie Option hatte, nahm die Option nicht auf, „und da ging ich nach Amerika“. Das ist ohne Vorwurf, ohne Sentimentalität gesagt, auch nicht zur Selbstrechtfertigung, es ist einfach die Überleitung von der deutschen zur englischen Phase ihrer Lieder.

Aber auch drüben sei sie „die ewige Berliner Romantikerin“ geblieben, und zum Beweise singt sie eines der sentimentalen Lieder aus jener Zeit. Sogleich aber wird die Melancholie wieder aufgetrocknet, sie verwandelt sich in die kesse Lola, zuckend, hüfteschwenkend, Trompetenblech und Pianogeklimper in der Stimme, jeder Zoll Weddinger Göre. Sie hat, so scheint es, an ihrem Vortrag selbst den größten Spaß, und wo sie sich Sentimentalität gestattet, da geschieht es mit einem Augenzwinkern, mit Distanz zur eigenen Verwandlungskunst. Sie trocknet die Träne gleich wieder auf. Und so bezaubert sie ihr Publikum da, wo sie lässig und spielerisch die Katzenkrallen zeigt, am meisten: als „laziest girl in town“, faul und behaglich Stimme, Schulter, Hütte räkelnd und dehnend, eine Schwanenfeder leichthin wegpustend, und in ihrem hinreißend sinnlichen, sinnverwirrenden Flirt mit dem Mikrofon in „Johnny“, dem Gipfel ihres Programms.

Fünf Viertelstunden lang steht Marlene Dietrich auf der Bühne, anderthalb Dutzend Chansons umfasst ihr Programm, die meisten deutsch, dazwischen englische und französische. Nach dem achten legt sie den weißen Mantel ab und steht in der berühmten, atemberaubenden Las-Vegas-Creation da, dem fleischfarbenen Abendkleid, von Brust bis Fuß mit Rheinkieseln besteckt und die berühmten Beine zwar verhüllend, doch hauteng umschließend. Für die letzten Nummern erscheint sie im klassischen Revuekostüm Frack und Zylinder, stöckchenschwingend und die weiße Nelke im Knopfloch. Als sie am Ende gar erst vor, dann in der Reihe der Revuegirls die befrackten Beine wirft, jubelt der Beifall in die Nummer hinein. Berlin hat seine Marlene wieder. Als Zugabe rückt sie mit ihrem Pianisten Burt Bacharach den Flügel an die Rampe und singt, daran gelehnt, Raimunds „Hobellied“ ins Handmikrofon. Als Schlusszugabe singt sie die Schnulze vom Koffer in Berlin, gewiss von ihren Managern als Tribut an das berlinische Gemüt empfohlen.

Mag sein, dass dieser Abend mit Marlene Dietrich für einen großen Teil des Publikums die Erinnerung an „Seligkeiten vergangener Zeiten“ bedeutete, wie es in dem Lied vom Koffer in Berlin heißt. Man sah unter dem Publikum, das zwischen zehn und hundert Mark für Eintrittskarten an die Kasse gelegt hatte, zwischen den bei solchen Festen gewohnten Vertretern des Berliner Highlife viele ältere Damen und Herren im festlichen, doch bescheidenen Habit, die deutlich Wiedersehen mit den goldenen zwanziger Jahren feierten. Mag auch sein, dass das Programm um eine Spur zu stark auf Reminiszenzen abgestellt war. Diese Frau zu sehen indessen war ein Ereignis, das niemand, der es sich leisten kann, versäumen sollte. Es ist nicht nur das alterslose Wunder der Dietrich, das es hier zu bestaunen gilt – ein Wunder, das mit den Erfolgen der chirurgischen Kosmetik kaum zu tun hat. Diese allein würden am Ende den Hautgout eines angestrengten Kraftaktes nicht ganz vermeiden können. Marlene Dietrichs Alterslosigkeit hingegen kommt aus einer blühend, sicher und geschmackvoll beherrschten Lebendigkeit des Temperaments, das keiner Chirurgie und keiner Kosmetik unterworfen ist. Zum andern aber wird uns hier endlich wieder ein Maßstab für Geschmack. Intelligenz und Kunst gesetzt, den wir in den Niederungen unserer Unterhaltungsindustrie längst vergessen hatten. Nach dem Besuch der Dietrich in Deutschland müsste sich, so meinen wir optimistisch, manches bei uns ändern.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurt, vom 05.05.1960